Davor und danach

Die Fotos «davor» und «danach», früher und jetzt, damals und heute – im Netz ist es heutzutage populär geworden, die alten Fotos nachzumachen. Mama und ihre 4 erwachsenen Söhne stehen vor der Kamera mit den genau nachgestellten Gesten und Kopfneigungen wie vor 20 Jahren. Das ältere Ehepaar posiert wie am Tag der Verlobung. Die Frau strahlt glücklich nach dem Fitnesskurs oder der Diät. Vor kurzem habe ich im Wald ein Familienfoto mit den Kindern gemacht – auf derselben Brücke, auf der mein Mann mich bei unserem ersten Rendezvous fotografiert hat.

Warum machen wir das so? Was treibt uns dazu? Wünschen wir uns damit eine Rückkehr in die Vergangenheit oder, im Gegenteil, möchten wir das schon Geschehene durchstreichen? Ist es eine Suche nach Versteck und Geborgenheit oder banale Unterdrückung der Erinnerungen?

Wir hängen am Haken der Vergangenheit, wir verehren sie oder verneinen sie. Und sie hält uns fest – im Guten und Bösen. Aber wenn wir mit dem Vergleichen von „damals und jetzt“ aufhören, dann schütteln wir uns, atmen mit voller Brust aus und schreien auf…

«Ich lebe hier und jetzt. Das ist mein Leben. ICH bin für meine heutigen Gefühle verantwortlich und nicht mein Chef, meine Verwandten, Freunde oder Politiker. Ich sage nein zu Schablonen und Stereotypen, denen meine Karriere, mein Aussehen oder mein Status entsprechen soll. Ich habe zwei Wege, zwei Kompasse – Tiefe und Unendlichkeit, und ein Leben, das keine Summe der Leistungen, aber ein Prozess ist. Und das messe ich mit dem intensiven und bewussten Vollerleben jeder Sekunde. Ich bin glücklich und dankbar. Und möchte das weiterschenken!»

Bei uns im Hof brüllt der Rasenmäher. Die Arbeiter rechnen mit dem letzten Rasen des Jahres ab. Und plötzlich mich überfällt ein Geruch – das frisch geschnittene Gras in einem Duftbouquet mit Autoabgasen. Das weckt in mir die Erinnerungen von enormerer Wärme, ein Flashback – groß wie das Weltall.

Und ich bin nicht mehr hier und jetzt, aber dort und damals, in meiner Kindheit. Der Mähdrescher fährt über das Feld. Und wir sind klein, barfuß und dickbäuchig. Die undurchdringliche Weizenwand verwandelt sich in die Leere – die bezaubernde Metamorphose des Seins. Und später am Abend, müde und hungrig, essen wir gebratene Kartoffeln und trinken einen heißen süßen Minztee. Bei der Steppendämmerung, führen wir lange ruhige Gespräche – bis zu den ersten Sternen.

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Mein verzweifeltes und sonniges Gebet der Gegenwart, wo ist deine Kraft? Wieder mal zieht mich die Vergangenheit zurück, die mich wieder mal einschläfert und einlullt …

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